Ausgabe 08/2018

Unzucht mit Medaillen
Titel WW8/18

Ekelwurst mit Auszeichnung«, titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Wer gedacht hätte, die Nahrungs- und Genussmittelbranche könnte die Fieberkurve ihrer Skandale nicht weiter nach oben schrauben, sieht sich angesichts des jüngsten Fleischskandals, den das TV-Magazin Frontal 21 enthüllte, eines Besseren belehrt. Der Vorgang für sich ist ein Skandal erster Güte und dokumentiert das Versagen staatlicher Kontrolle und der Lebensmittelüberwachung. 

Wie kann es sein, dass sogenanntes Separatorenfleisch, das seit dem BSE-Skandal nicht mehr für den menschlichen Verzehr verwendet werden darf, in die Nahrungskette gelangt? Im Durchschnitt verzehrt jeder Deutsche rund ein Kilogramm des schmuddeligen Fleischbreis, der als »Knochenputz« ausgeschleudert wird. Dabei sind den Behörden noch nicht mal aktuelle Zahlen bekannt, wieviel in den letzten Jahren produziert wurde, was exportiert und was irgendwie für Tierfutter oder anderes verwendet wurde. Wieder einmal offenbart der Skandal die große Lügerei rund um die heimische Landwirtschaft.

Dabei geht es weder um Qualität der Lebensmittel, Ernährungssicherheit, artgerechte Tierhaltung, Schutz und Schonung der Umwelt, ökologische Balance oder um eine gesunde Ernährung mit hochwertigen, natürlich und regional erzeugten Nahrungs- und Genussmitteln. Nein, es geht allein um den Erhalt der hoch subventionierten Landwirtschaft und die Profite von Industrie und Handel sowie um Macht und Einfluss der Verbände und Funktionäre, die ihr Auskommen mit und um die Landwirtschaft generieren. Gehen Sie zum Bäcker: Was haben die Kunstprodukte noch mit Brot zu tun? Das irre Überangebot an Milchprodukten basiert zu einem wesentlichen Teil auf importierten Eiweißfuttermitteln. Dafür ist Deutschland Nettoexporteur von Molkereiprodukten und Fleisch. Der Selbstversorgungsgrad bei Obst und Gemüse liegt dagegen weit unter 30 Prozent. 

Die katastrophalen Verhältnisse der Ernährungswirtschaft sind die Folgen einer jahrzehntelang falschen Politik. Das Primat einer familienbäuerlichen Landwirtschaft wurde hochgehalten, Subventionen massenhaft verteilt und in Wahrheit der vor- und nachgelagerten Industrie und dem preisaggressiven Lebensmittelhandel Tür und Tor geöffnet. Viele Institutionen machten sich zum Handlanger dieser Politik, ob in Wissenschaft, Verwaltung oder staatlichen Institutionen. Dazu gehört auch die Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft DLG, die jetzt ob ihrer blamablen Auszeichnungen am Pranger steht und selbst von Politikern nicht mehr als ernsthafter und glaubwürdiger Veranstalter von Produkttests angesehen wird. 

Ich war erschüttert und musste zugleich herzhaft lachen als ich den Fernsehbericht des ZDF-Teams sah. Als junger Student der Agrarwissenschaften hatte ich die Ehre zusammen mit anderen Studenten für die DLG auf ihrer Frankfurter Messe an einem Schaf- und Schweinebeurteilungswettbewerb teilzunehmen. Wir hatten wenig Ahnung, was wir da eigentlich bewerten sollten, doch die Urkunden, die ich nach dem Wettbewerb als Juror bekam, sind bis heute die Größten in meinem Fundus geblieben. Mir war schon damals klar, das hat mit Expertise und ernsthafter Prüfertätigkeit nichts zu tun. Und heute? Die DLG ist blamiert bis auf die Knochen. Klar, jeder der einen Wettbewerb durchführt, kann über die wahre Identität eines Produktes getäuscht werden. Mir fehlt die Kenntnis, ob man den Zusatz von 30 Prozent Wasser, Blutplasma und 50 Prozent Ekelfleisch nicht doch anhand analytischer Werte hätte erkennen können.  

Doch das alles schert die DLG wenig. Sie sieht sich selbst als Betrogene und fürchtet, der Handel könne in Zukunft auf ihre DLG-Medaillen bei Lebensmitteln und Wein verzichten. Die Befürchtung ist nicht unbegründet. Ihre Tester zeichnen rund 30.000 Produkte, darunter auch Weine aus. Die Ablehnungsquote liegt bei lediglich 5 bis 20 Prozent. Selbst Produkte mit Schwächen erhalten noch Medaillen. Es ist Zeit, dass die DLG ihren halbstaatlichen Status verliert und sich einer effektiven Kontrolle stellt. Wir brauchen keinen Staat im Staat, auch nicht in der Landwirtschaft.

Hermann Pilz
Chefredakteur Weinwirtschaft
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