Kabinettstückchen

Man kann die Entscheidung des VDP.Die Prädikatsweingüter, nur noch restsüße Weine als Kabinett zu vermarkten, sicherlich kontrovers diskutieren. Eine große Rolle spielen hierbei regionale Aspekte. Was an Mosel, Nahe und Rhein nachvollziehbar Sinn macht, sorgt in der Pfalz, in Franken und zum Teil in Württemberg dafür, dass ein erfolgreiches Weinsegment, nämlich die leichteren trockenen Kabinett-Weine aus charakteristischen Lagen, vernichtet wurde. Bis heute ist es nicht wirklich gelungen, mit Hilfe der Ortsweine diese Lücke zu schließen. Viele Weintrinker bedauern dies.

Der positive Effekt ist jedoch, dass automatisch wieder etwas mehr Augenmerk auf die restsüßen Kabinettweine gelegt wird. Das gilt im Besonderen für die Anbaugebiete Mosel inklusive Saar und Ruwer, Nahe und Rheingau. Wir haben für diese Ausgabe 75 Kabinettweine verkostet. Die 25 bestbewerteten stammen ausschließlich aus diesen Anbaugebieten: sieben von der Nahe, sechs aus dem Rheingau, sechs von der Mosel, vier von der Saar und zwei aus dem Ruwertal.

Auch um die Einsetzbarkeit in der Gastronomie im Auge zu behalten, sollte der Fokus bei dieser Verkostung auf Kabinett-Weinen mit 10 bis 40 Gramm Restsüße liegen. Spätestens beim zwanzigsten Anruf eines Weinguts war jedoch klar, dass wir mit dieser Zielvorgabe an der Realität vorbei zielten. Tatsächlich spielt die Musik bei den Kabinettstückchen zwischen 40 und 70 Gramm Restsüße. Bei der Verkostung, bei der die Weine nach aufsteigender Süße sortiert waren, versetzte die Balance, Konzentration und Spannung der süßeren Varianten fast alle Teilnehmer in Begeisterung. Der Fruchtzucker war sehr oft extrem gut eingebunden, abgepuffert, kaschiert, je nachdem, wie man das sehen möchte. Am nächsten oder übernächsten Tag noch einmal solo verkostet, mussten wir uns bei dem einen oder anderen Wein dann jedoch eingestehen: „Schon ganz schön süß.“ So süß, dass der Wein mit vielen Vor- und Hauptspeisen der nordischen/deutschen/alpinen/mediterranen Geschmackswelt nur noch bedingt sinnvoll kombinierbar schien. Anders sieht es natürlich bei südostasiatischen/
orientalischen/karibischen Einflüssen aus. Doch bei der Probe ging es ja ausschließlich um die Qualität im Glas. Am Ende schafften es nur vier Weine mit weniger als 30 g Restsüße unter die Top 25. Acht der zehn besten Weine der Probe lagen zwischen 43 und 50 g/l, lediglich zwei Weine aus dem Rheingau (Schönhell, Fürst Löwenstein mit 26 g/l und Hassel von der Georg Müller Stiftung mit 38 g/l) darunter. Die positive Seite: Die Weine brillierten bei maximaler Komplexität und Spannung mit gerade einmal 9 bis 11 %vol. Alkohol. Vom zweifellos herausragenden Reifepotenzial ganz zu schweigen. Weine, die eigentlich erst in zehn Jahren auf der Karte stehen sollten. Dann wäre auch das Spektrum der Einsatzmöglichkeiten bei Tisch deutlich breiter.

Das optimale Gleichgewicht aus Süße und Säure hängt natürlich auch mit dem Jahrgang 2013 mit seinen moderaten Zuckergraden und hohen Säurewerten zusammen. Eine Konstellation, die ihren Teil dazu beitrug, das Thema Kabinett redaktionell aufzugreifen. Und mit 2014 steht ein weiterer Jahrgang mit ähnlichem Profil in den Startlöchern.

Sascha Speicher

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